von Markus Veser


Kißlegg pflegt eine über 150-jährige Fasnetspieltradition. 2015 wurde erstmals – anlässlich der Teilnahme bei den „Närrischen Festspieltagen 2015“ in Wolfach – das Kißlegger Fasnetspiel auswärts aufgeführt. Die in Wolfach gewonnenen überaus positiven Erfahrungen und der Kontakt zu anderen Narrenzünften, die ebenfalls Fasnetspiele aufführen, mündeten im Wunsch, Erhalt und  Förderung von Fasnetspielen weiter zu pflegen. Aus diesem Grund begrüßt die Narrenzunft Kißlegger Hudelmale e.V. anlässlich ihres 50. Geburtstages am Landschaftstreffen der Fasnetlandschaft Oberschwaben-Allgäu  die Narrenzunft Wolfach mit deren berühmter „Altweibermühle“ und die Narrenzunft Staufen mit deren Fasnetspiel. Das Landschaftstreffen findet vom 10. bis 12. Februar 2017 statt. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren und die Kißlegger Narren setzen alles daran, dieses Ereignis unvergesslich werden zu lassen.
Fastnachtsspiele gehören heutzutage nicht mehr unbedingt zur „Schauseite“ der schwäbisch-alemannischen Fasnet. Die Aufführung der Stücke –  meist von Autoren vor Ort mit „Lokalkolorit“ verfasst – findet während der Fasnet normalerweise – Ausnahmen bestätigen die Regel – ausschließlich im Narrenort statt. Früher waren Fastnachtsspiele weit verbreitet: Unsere Patenzunft,  die Plätzlerzunft Altdorf-Weingarten verfügt beispielsweise über umfangreiche Dokumente zur einst ausgeübten Fasnetspiel-Tradition. Aber auch in anderen Narrenhochburgen der Landschaft Oberschwaben-Allgäu wie Wangen oder Bad Waldsee standen Fasnetspiele ab Mitte des 19. Jahrhunderts hoch im Kurs.
In Kißlegg bildeten die Fasnetspiele einst den Höhepunkt der Ortsfasnet. Sie wurden unter Mitwirkung der ganzen Bevölkerung mit großem persönlichem und materiellem Einsatz vom „Militärverein“ oder der Narrengesellschaft „Eintracht“ organisiert und durchgeführt und waren weitum beliebt und bekannt. So ist es nicht verwunderlich, dass gegen Ende des 19. Jahrhundert viele Besucher mit der Eisenbahn nach Kißlegg kamen, um sich die Kißlegger Fasnetspiele anzusehen. Es waren meist Lustspiele, manchmal aber auch blutrünstige „Trauerspiele“ auf Basis historischer Stoffe oder ortsbekannter Sagen. Das erste nachweisbare Fasnetspiel war in Kißlegg 1844 aufgeführt worden. Der Autor Karl Walchner schrieb dazu in seinen „Alt-Wangener Erinnerungen“:  „In Kißlegg wurde am Fasnachtmontag eine Maskerade aufgeführt, deren Titel hieß ‚Die 7 Schwaben am Spieße‘. Alles fiel ganz gut aus. Es waren aber leider statt 7 Schwaben nur 6 Schwaben und 1 Schweizer gegenwärtig.“
1875 entstand in Kißlegg ein Narrenverein, der sich zunächst „Gesellschaft Carneval“ und ab 1878 „Narrenverein Eintracht“ nannte.  Während am Fastnachtssonntag die Aufführung des „Vorspiels“ erfolgte, fand tags darauf am „Fasnets-Mädig“ die Straßenfasnet mit Umzug und dem eigentlichen Fasnetspiel statt.  So wurde am 6. Februar 1875 unter der großen Linde beim Spital ein Schauspiel in fünf Akten „nebst peinlichem Verhör auf der Folter und Hinrichtung durch das Executionsrad“ mit dem Titel „Die Braut von Montebello oder der schreckliche Räuberhauptmann Opalinski“ aufgeführt. Die Gesellschaft wies besonders darauf hin, dass dieses Stück noch nirgends sonst zur Aufführung kam. „Es werde somit vermöge seiner allerneuesten Neuheit ganz besonders darauf aufmerksam gemacht und eingeladen.“

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde fast jedes Jahr ein Fasnetspiel aufgeführt. Diese trugen Titel wie  Wilhelm Tell“, „Die unheilvolle Einquartierung zu Scherbenhausen“ , „Nimm dich vor dem Weibervolk in Acht“ oder „Lieutenant Pech in der Klemme“. Nicht selten wählte man lange, dreiteilige Titel wie „‘Der Franzosenlärm zu Plempelhorn‘ oder ‚ Der verwirrte Empfang des Herzogs‘ oder ‚Hitzig ist it witzig‘“.  Gespielt wurde auf insgesamt drei Plätzen: auf dem Hauptplatz bei der Kirche, auf dem kleinen Platz bei der Hirsch-Post (auf dem heute der Narrenbrunnen steht) und bei der großen Linde beim Spital am Ende der Herrenstraße. Bei besonders aufwendigen Fasnetspielen spielten die Narren gleichzeitig auf zwei oder allen drei Plätzen. 
Im Jahre 2000 wurde auf dem Dachboden des Rathauses  auf der Rückseite eines Porträts das Originalplakat des Fasnetspiels „Prinz Leonis“ vom 13. Februar 1899 aufgefunden. Es ist bisher – neben Zeitungsanzeigen in der örtlichen Presse – das einzige historische Dokument der Kißlegger Fasnetspieltradition. Federführend bei diesem Stück war der Militärverein, nachdem der Narrenverein 1890 letztmals agierte. Für die Zuschauer wurden Tribünen errichtet. Zutrittskarten  kosteten „1 Mark einschließlich Programm“. Es wurde explizit darauf hingewiesen, dass der Festzug drei Mal an der Tribüne vorbei kommen würde. An diesem Umzug wirkten 250 Personen mit 60 Pferden und 10 Festwagen mit. Allein für das Mieten historischer Kostüme wurden 1.000 Mark ausgegeben. Der „Argenboten“ vom 9. Februar 1899 vermeldete, die „heute aus München angekommenen Kostüme (aus dem Jahre 1740 gewählt) sind prachtvoll und historisch treu“.
Nach einer Pause von neun Jahren wurde am 14. und 15. Februar 1904 das letzte nachweisbare Spiel vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Titel „General Bombenelement oder die Garnison Zappelburg“ aufgeführt. Der Narrenverein war wieder in Aktion und stellte in Kooperation mit dem Militärverein einen Umzug mit 300 Personen, 60 Pferden und 12 Festwagen auf die Beine.  Die Fasnetspiele wurden nun mit prunkvollen Umzügen eingeleitet. Die Fasnetsumzüge – heute in Kißlegg am „Schmalzgala Samstig“ (Fasnets-Samstag) – waren also schon seit jeher Bestandteil der Fasnetspiele.
Wie vielerorts gingen die Fasnetspiele auch in Kißlegg Anfang des 20. Jahrhunderts in der Saalfastnacht auf, die Tradition der Fasnetsumzüge blieb jedoch erhalten.  In den 1950er Jahren hörte der Kißlegger Narr Manfred Schuwerk erstmals vom historischen Kißlegger Fasnetspiel.  Die Gründung der Narrenzunft Kißlegg 1966 nahm er zum Anlass, dieses wiederzubeleben. Mit etwas Fantasie knüpfte er an die alte Stoffe an und schrieb ein neues „historisches“ Fasnetspiel. Mit den Jahren entwickelte sich ein fester Rahmen: eine Handlung vor historischem Hintergrund leitet zur aktuellen Fasnet über. Die unzähligen Fasnetspiele von Manfred Schuwerk sind alle in hiesigem Dialekt und in Reimform verfasst. Einer seiner „Klassiker“, „Der Schatzgräber vom Kocherhof“, wurde seit 1966 mehrere Male aufgeführt.
Die nächste Autorengeneration hat sich bereits erfolgreich profiliert: 2009, 2015 und 2016 hat Stephan Wiltsche seine ersten Fasnetspiele geschrieben. Seit mehr als 10 Jahren leitet Dr. Bernd Frey als Regisseur die jeweiligen Aufführungen der Kißlegger Fasnetspiele. Bis heute findet das Spiel, welches von fasnetsbegeisterten Kißlegger Bürgern in der Freizeit einstudiert wird, im Freien bei jeder Witterung statt. So ist es auch schon vorgekommen, dass die Schauspieler kurz vor der Aufführung die Bühne vom Neuschnee befreien mussten. Als Kulissen werden einfache bemalte Stellwände verwendet.
Seit einigen Jahren beziehen sich die Fasnetspiele auf die jährlich wechselnden Kißlegger Fasnetsmottos. So lautete das Fasnetsmotto 2015: „Feuer, Flamme, Fasnetsbutz / do sind alle auf d´r Rutsch“. Passend dazu wurde das Fasnetspiel „Frau Pompier und das Husarenstückle“ aufgeführt, dass von der – fastnächtlich interpretierten –  Gründung der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr handelte. Zum Landschaftstreffen 2017 wird das Kißlegger Fasnetspiel – nicht wie sonst üblich am „Gumpala Dunschtig“ – sondern ausnahmsweise am Samstag, 11. Februar um 19 Uhr vor dem Neuen Schloss aufgeführt.

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